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entnommen: Mitteilungen 1/2000 der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft e.V., Seite 15/16
(mit 3 unwesentlichen Korrekturen und zusätzlichen Hervorhebungen)

Der Autor des Textes ist Dipl.-Met. Ulrich Otte, Kreuzstr. 12, 40882 Ratingen

Was ist ein Experte?

Versuch einer Definition mit Hilfe der Meteorologie

Mit dem Hinweis auf einen "Experten" bei der Erläuterung eines naturwissenschaftlich/technischen Zusammenhangs ist man in den Medien rasch zur Hand, suggeriert man doch dem Leser oder Zuschauer damit Sachkompetenz und Seriosität. Gerade bei umweltrelevanten Themen mit i.a. hohem Aufmerksamkeitsgrad beim Publikum erreicht der Gebrauch des Begriffs "Experte" mittlerweile inflationäre Ausmaße. Es scheint deshalb erforderlich, sich mit der Definition des Experten näher zu beschäftigen. Dass die Wissenschaft sich beim Transfer komplexer Sachverhalte in die Öffentlichkeit schon vor mehr als 10 Jahren in der Defensive befunden hat, zeigt ein Artikel von O. Hutzinger im Editoral von Umweltwissenschaften und Schadstoffforschung, Zeitschrift für Umweltchemie und Ökotoxikologie (1989) 4: S. 1. Seine Expertendefinition und vor allem seine Definition von Nichtexpertentum am Beispiel der damaligen Dioxindiskussion ist auch heute noch hochaktuell. Ich habe deshalb seine Argumentation und in Teilen auch die Formulierung übernommen und den chemischen Kontext durch einen meteorologiebezogenen ersetzt.

Das Herkunftswörterbuch definiert den Begriff des Experten folgendermaßen:
Experte
"Sachverständiger": Im 19. Jh. nach frz. expert "erfahren, sachkundig"; aus lat. expertus "erprobt, bewährt" entlehnt. Über das zugrunde liegende Verb lat. experiri "versuchen, erproben", vgl. Experiment.
Experiment
"(wissenschaftlicher) Versuch; (gewagtes) Unternehmen": Im 17. Jh. aus lat. experimentum "Versuch, Probe; Erfahrung" entlehnt. Zu lat. ex-periri "versuchen, erproben" vgl. Experte.

Wesen und Aufgaben des Experten können auf dieser Grundlage wie folgt definiert werden: Während die Erkenntnisgewinnung Aufgabe des Forschers ist, erfolgt durch den Experten die Aufarbeitung der Erkenntnis zu Verfügungswissen. Der Experte bringt wissenschaftliche Erkenntnisse als Verfügungswissen in das öffentliche Bewußtsein und in die wissenschaftliche Politikberatung ein. Expertentum ist das Ergebnis langfristig erworbener Kompetenz.

An dieser Stelle soll nun der Versuch gemacht werden, die Definition pragmatisch am Beispiel der Verbindung von Meteorologie/Klimatologie und Öffentlichkeit zu illustrieren; denn gerade die verkürzte, dafür aber öffentlichkeitswirksame Darstellung in Berichten über Orkane und Klimaänderungen hat in letzter Zeit, nach Waldschäden und Dioxinen, erneut die Unsitte des Pseudoexpertentums aufblühen lassen.

Beispiel: Meteorologe als Experte für Sturm-/Orkanentstehung und Klimaänderungen
Experte:
Ein Wissenschaftler mit jahrelanger Erfahrung in seinem Fachbereich einschließlich des zur Diskussion stehenden Problems. Seine Erfahrungen sollten durch Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften oder durch adäquate Arbeiten und Aktivitäten dokumentiert sein.
Experte ist man in der Regel nicht im gesamten Spektrum einer wissenschaftlichen Disziplin wie der Meteorologie, Klimatologie oder der Physik, sondern in einem meist nicht allzu großen Teilbereich davon.
Kein Experte im strengen Sinn:

Ganz gewiß kein Experte ist Jemand, der nie mit meteorologischen Daten und Modellen wissenschaftlich gearbeitet hat, sondern sein Wissen aus sekundären und tertiären Quellen bezieht. Dazu zählen i.a. auch Repräsentanten von Wetterfirmen mit häufiger Medienpräsenz.

Solche "Pseudoexperten" wissen alles,
haben rasche Antworten bei der Hand,
können auf alle Fragen antworten,
sprechen nie von Unsicherheiten.

Für die Öffentlichkeit ist es nicht leicht, zwischen "echten" und "selbsternannten" Experten zu unterscheiden. Häufig finden solche "Experten" gerne Beachtung, die eine die Öffentlichkeit besonders interessierende Thematik mit einer bestimmten Tendenz verfolgen. Für alle, die bemüht sind, zu wissenschaftlicher Erkenntnis vorzudringen, oft ein jahrelanges Ringen, bei dem fast immer Unsicherheiten und Unwägbarkeiten übrig bleiben, ist solches Expertentum verständlicherweise ein Ärgernis:
In öffentlichen Diskussionen ziehen sie - im Gegensatz zu den "Pseudoexperten" - meist den kürzeren, da sie eben keine Patentlösung anbieten können und Unsicherheiten einräumen müssen; kurz, sie können die Hoffnung der Öffentlichkeit auf rasche, vollständige und risikolose Lösungen kaum befriedigen.
Zudem müssen sie zusehen, wie die Öffentlichkeit einseitig, also verzerrt, und unzulässig simplifiziert informiert wird. Das kann möglicherweise dazu führen, daß Erkenntnisse und Urteile der echten Experten überstimmt werden.

Um diesem Mißstand zu begegnen, genügt es nicht, aus einer Verteidigungsposition heraus auf Behauptungen der "falschen" Experten zu reagieren - und das dann noch häufig hausbacken und ungeschickt. Vielmehr müssen die "richtigen" Experten ihre Position mit den Mitteln der modernen Medien offensiv vertreten. Wenn sie nicht lernen, die Medien zum Zwecke der Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu akzeptieren und zu instrumentalisieren - und zwar so wie sie sind - dann ist in der Tat in sehr naher Zukunft nicht mehr die Information sondern die Art der Präsentation der dominierende Faktor.